Der Ernst des Lebens

Kennen Sie das, die Menschen, die mit todernsten Gesichtern an den Flughäfen, Bahnhöfen und Bushaltestellen stehen? Das ganze Leid ihrer eigenen Existenz ausdrückend? Diese Menschen wissen wohl, wer das ist: der Ernst des Lebens.

Ich halte ihn für eine der großen und gefährlichen Lügen unseres Lebens.

Seit unserer Kindheit wird erzählt: Jetzt kommt die Schule, damit beginnt der Ernst des Lebens. Dann heißt es nach dem Studium, dass nun der Ernst des Lebens beginnt. Ganz ehrlich, ich warte schon sehr lange darauf, ihn kennenzulernen, diesen Ernst. Die Menschen, die ihn kennen wirken, als wären sie von etwas befallen, von dieser angestrengten Ernsthaftigkeit. Wie eine Krankheit. Sie haben sich davon anstecken lassen, von dem Glaubenssatz ihrer Eltern.

Denn wenn man den Ernst des Lebens lebt, ist der Spaß endgültig vorbei. Das Träumen, das in den Tag hinein leben, die kindliche Neugier, die kreative Freude, die Gestaltungskraft.

Man hat sich mit allem Ernst den Herausforderungen des Lebens zu stellen.

Wir kennen alle Menschen, die Gefangene ihrer Lebenssituation sind. Haben den falschen Beruf gewählt, den falschen Partner geheiratet und zuviele Schulden gemacht, um gesellschaftliche Anerkennung zu finden. Diese Gefangenen-Situation ist für sie eine ernste Sache. Eine miese Zwickmühle wird es vor allem dann, wenn sie Kinder haben, die als Argument herhalten müssen, warum sie sich aufopfern und warum sie nichts ändern können. Wenn man das glaubt, dass man Opfer der Umstände ist, dann ist der Ernst des Lebens natürlich wahr. Wenn man sich jedoch als Gestalter seines Lebens sieht, ist er eine Lüge.

Wir alle kennen Menschen, die sehr schmerzhafte Erfahrungen überwunden haben, wie Krieg, Vertreibung, Flucht, Krankheit, den Verlust geliebter Menschen. Andere hatten es vielleicht objektiv nicht ganz so schwer, aber persönliche oder berufliche Krisen, haben sie ebenso in spürbar unerträgliches Leid gestürzt.

Und wir kennen so viele Menschen, die aus diesen Krisen gestärkt hervor gegangen sind. Viele haben gelernt, ein heiteres und freudvolles Leben zu führen, manche haben den Frieden in sich selbst gefunden, andere in ihrer Spiritualität und wieder andere in ihrer Lebensaufgabe.

 

Es hat überhaupt keinen Sinn, den Rest des eigenen Lebens ein Sauertopf zu sein.

Heiterkeit und Gelassenheit sind aus meiner Erfahrung der Schlüssel zum Erfolg und zu einem erfüllten Leben. Ob wir das Leben als Spiel oder als Abenteuer begreifen, als Reise oder als große Suche, schmerzhafte Erfahrungen gehören einfach dazu. Aber der Ernst des Lebens ist eine große Lüge, die verhindert dass wir Spaß und Freude am Leben haben, weil er uns ins Leid drängt anstatt es uns überwinden zu lassen. Weil er unsere Kreativität hemmt, anstatt uns Lösungen finden zu lassen.

“Alles in der Welt ist Torheit, nur nicht die Heiterkeit.”

Friedrich der Große

Keine Ahnung, wer sich sowas ausdenkt und warum. Die alten Preußen, die ja für vieles herhalten müssen, waren es jedenfalls nicht.

Lachen hilft.

Aus der Hirnforschung wissen wir, wenn ein Mensch viel lacht, bleibt er gesund. Deshalb will ich mich auch nicht vom Ernst des Lebens befallen lassen. Egal, was ich mir einrede, wie schwer ich es gerade habe. Ich werde nach solchen Gedanken die Mundwinkel wieder raufziehen, über meine eigene Torheit lachen und eine Lösung suchen. Wie immer.